
Der Lästerer
by Hanns Dieter Hüsch
on Das Wort zum Montag (1968)
i>Spoken:
Ich bin ein deutscher Lästerer
Ich habe mich von Kindesbeinen an zu einem deutschen Lästerer entwickelt
Ich habe meinen deutschen Laufstall nicht verlassen
Ich habe schon mit einem Jahr gesprochen
Ich habe schon mit vierzehn Monaten einen guten Eindruck gemacht
Ich habe schon mit sechsunddreißig Monaten meinen Scheitel selbst gekämmt
Ich habe niemals Obst gegessen, wenn es nicht vorher stundenlang gewaschen war - wer weiß, durch wieviel Hände dieser Apfel schon gegangen ist
Ich habe in der Schule meine Butterbrote immer aufgegessen
Ich habe im Kindergottesdienst immer ausgesehen wie ein Schaf
Ich habe meine deutschen Bleyle-Hosen bis zum 'gehtnichtmehr' getragen
Ich habe als Sextaner zur Oberprima aufgeschaut
Ich habe als Primaner Professoren für die Allergrößten gehalten
Ich habe mich dann geistig auf dem Laufenden gehalten
Ich hab' mich dann musisch auf dem Laufenden gehalte
Ich hab' mir dann sagen lassen müssen, dass der geistige Mensch doch der bessere Mensch sei.
Ich hab' mir dann sagen lassen müssen, dass ein Volk wie eine Art Familie ist
Ich hab' mir dann sagen lassen müssen, dass es Gott doch garnicht gibt
Ich hab' mir dann sagen lassen müssen, dass es Gott doch gibt
Ich hab' mir dann sagen lassen müssen, dass ein deutscher Soldat mehr wert ist als ein russischer Soldat
Ich hab' mir dann sagen lassen müssen, dass ich ein weltfremder Idiot bin
Ich hab' mir dann sagen lassen müssen, dass ich doch mal zum Friseur gehen soll
- Sie könnten sich auch mal die Haare schneiden lassen!
- Sie haben wohl wieder Ihre Trotzphase.
- Ich müsste Ihr Friseur sein!
- Bei Adolf hätten Sie so nicht herumlaufen können!
- Tjaha, ich kann Ihnen ja nichts sagen. Das ist ja diese Demokratie.
- Wenn ich Ihr Vater wäre! Wenn ich Ihr Vater wäre, ich würde Sie mit einer Heckenschere, würde ich Sie in die Mache nehmen!
- Ein Jahr Arbeitsdienst, und die Haare wären weg!
- Ihr Friseur hat sich wohl den Arm gebrochen.
- Gell, die Haare kann man sich doch wenigstens schneiden lassen!
- Ich kann Sie mit meinem Wagen rasch zum Friseur fahren.
Ich habe mir dann sagen lassen müssen, dass Gottes Mühlen langsam mahlen
Dass ich nicht rauchen solle
Dass eine Frau in erster Linie Mutter ist
Dass die moderne Kunst krankhaft ist
Dass ich Vater und Mutter ehren soll
Dass schon der geringste Anstand verlangt, zuerst Deutscher und dann Mensch zu sein
Dass ich nicht immer alles negativ sehen soll
Dass ich einen zu einseitigen Standpunkt habe
Dass ich doch gleich nach Moskau gehen soll
Dass ich ein Bürger bin
Dass ich verwahrlost bin
Dass ich dafür zu jung bin
Dass so die Freiheit nicht aussieht
Dass ich gerade gehen soll
Dass ich in eine Partei gehen soll
Dass ich nicht randalieren soll
Dass ich in eine Partei gehen soll
Dass ich meine Butterbrote aufessen soll
Dass ich auch mal zum Friedhof gehen soll
Dass ich nicht ungewaschenes Obst essen soll
Dass ich einen guten Eindruck machen soll
Dass ich wieder wie ein Kind werden soll
Dass ich wieder in meinen Laufstall soll
Dass ich mich am Gitter festhalten soll
Dass ich den Mund halten soll
Dass ich meinen deutschen Laufstall nicht verlassen soll
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